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AutorenbildJoachim Materna & Ellen Kuhn

WEST-FLORIDA – Pythons, Palmen, Pensionäre

Aktualisiert: 9. Dez.


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Der Westen Floridas lag lange Zeit im Schatten der umtriebigen Ostküste nördlich und südlich von Miami und natürlich von Miami und Miami Beach selbst. Selbst die Florida Keys im Süden erreichten schon früh Must-do-Status unter den Besuchern des Sunshine State, allein schon wegen der legendären Seven-Miles-Brücke und wegen des südlichsten Endpunkts Key West mit dem Hemingway House, seinen vielen chilligen Bars und der Nähe zu Kuba. Allenfalls die Everglades verlockten den Standardtouristen zu einem kleinen Abstecher Richtung Westen.


In den letzten Jahrzehnten hat sich dies jedoch spürbar gewandelt. Die fast schon rurale Beschaulichkeit und die fantastischen Strände der Küste am Golf von Mexiko lockten immer mehr Besucher an, die den lange Zeit noch abenteuerlichen Weg nach Westen durch die Everglades nicht scheuten. Heute ist die quer durch Florida verlaufende Alligator Alley vierspurig ausgebaut, es gibt den Southwest International Airport in Fort Myers (Direktflüge z.B. ab Frankfurt) und jede Menge acht- bis zehnspurige Highways, die sich entlang der Golfküste von Naples bis Tampa, Clearwater Beach und St Petersburg und auch noch weiter nach Norden ziehen. Auch die im Golf von Mexiko vorgelagerten Inseln wie Sanibel, Captiva, Longboat Key und viele andere Eilande locken Sonnenhungrige jeden Alters an, wobei die höheren Jahrgänge eindeutig dominieren.


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Scharen an US-Amerikanern und anderen „Snow Birds“ aus Kanada und Europa ziehen Jahr für Jahr das Klima West-Floridas dem heimischen Winter vor. Ein Apartment oder ein Bungalow am Wasser und ein Boot am Steg davor, wer das erreicht hat, für den – so scheint es allenthalben – ist ein lebenslanger Traum in Erfüllung gegangen. Im März oder April kehren viele Schneevögel wieder in ihre nördlichen Heimatorte zurück, was Apartmenthäuser und Bungalows sowie ganze Straßenzüge und Siedlungen verwaisen lässt. Während einerseits leichte Wellen an die in Planen verpackten und auf speziellen Hebebühnen aufgebockten Boote plätschern, fühlt man sich andererseits unweigerlich an Ghost-Town oder ein Leben in Corona-Zeiten erinnert. Die Seelenlosigkeit, die diese Wohnregionen zu mancher Jahreszeit ausstrahlen, überträgt sich ehrlicherweise auch ein Stück weit auf die Mentalität der gesamten, noch bewohnten Umgebung.


Aber egal, der Sonnenstaat ist nach wie vor der Sehnsuchtsort für Senioren, das Rentnerparadies schlechthin. Nicht mehr frieren, nicht mehr täglich zur Arbeit, sondern morgens sein Motorboot mit allem beladen, was man zum Barbecue braucht, und dann in See stechen. Oder zumindest durch die Kanäle tuckern. Irgendwo nach einem Strandplätzchen suchen, wo man im knietiefen Wasser ankern kann, um Grill, Kühlbox, Sonnenschirm und Stühle an Land zu bringen, wo der gleissend helle, weiß-gelbe Traumstrand wartet.

Allerdings sieht die Realität gerade an Wochenenden an den Top-Locations meist ernüchternd anders aus. Allzu oft sind gerade die schönsten und bekanntesten Strände von unzähligen kleinen Booten und Jetskis belegt, die bis auf den Strand rauffahren. Ein schwacher Trost – auch die Autoparkplätze sind an freien Tagen schon ab frühmorgens übervoll. Verzweifelt geht man irgendwann nicht mehr an den Strand, den man sich wünscht, sondern an den, wo man einen Park- oder Liegeplatz findet. Karibische Idylle wird von lärmenden Motorgeräuschen verdrängt. Dieser Lärm tritt wiederum in Konkurrenz zum hämmernden Sound aus leistungsstarken Bass-Boxen, deren Besitzer der unbeirrbaren Meinung sind, dass ihr Musikgeschmack auch der aller anderen Strandbesucher ist.


Aufgeben? Abbruch? Aber was dann? Ach ja, da gibt es ja noch die andere Leidenschaft der Florida-People, eine Beschäftigung, die man hier vielleicht noch intensiver auslebt als sonst wo auf der Welt – Shopping. Wo ein Bedarf ist, entsteht Angebot. Und wo ein Angebot ist, glaubt man, einen Bedarf zu haben. Egal, in welche Richtung man auf einer der vielspurigen Straßen fährt, reiht sich Shopping-Center an Shopping-Center, Mall an Mall. Auch hier sind die Parkplätze an Wochenenden gut gefüllt, jedoch sind sie in der Regel so riesig, dass man in entfernter Sichtweite zum Eingang gerade noch etwas finden kann. Im Abstand weniger Kilometer finden sich die identischen Shops und Ketten, sodass man eigentlich nicht mehr beantworten kann, wo man gerade ist. Alles sieht gleich aus, egal wohin man sich wendet. Da in der völlig flachen Landschaft auch andere Anhaltspunkte wie Hügel oder gar Berge fehlen, wird man schnell völlig orientierungslos und findet als Neuankömmling oder Ortsfremder schier nicht mehr in sein Hotel oder Ferienapartment zurück. Auch die Brücken und Kanäle sind keine Hilfe, es gibt zu viele, die wiederum gleich oder sehr ähnlich aussehen. Die Straßenschilder tragen USA-typisch oft keine Namen, sondern einfach nur Zahlen und Himmelsrichtungen. Aber es besteht Hoffnung. Hinein in die nächste Mall und ein Navigationsgerät erwerben. Und hungrig von der verzweifelten Suche ist man glücklich, dass es gleich nebenan auch einen McDonald oder Kentucky Fried Chicken gibt, und zum Kaffee wechselt man danach nach gegenüber in einen Starbucks. Und das Kleid oder Hemd bei Zara oder H&M auf dem Weg zum Parkplatz sieht genauso aus, wie man es schon immer haben wollte… Welcome to Florida.


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Nicht der Strand- oder Shopping-Typ? Wie wäre es mit einem Ausflug? Wer mit Kindern unterwegs ist und lange Fahrstrecken nicht fürchtet (obwohl das fast paradox ist…), scheut möglicherweise die Anfahrt nach Cypress Gardens und Legoland in Winter Haven nicht. Oder sogar noch weiter nach Orlando mit Seaworld und/oder Disneyworld. All diese Ziele liegen nordöstlich in der Mitte Floridas und sind ebenfalls eher nicht das beste Ziel für Menschen, die Ruhe und Einsamkeit suchen.


Fast schon ein Pflichtausflug führt nach Süden in den Nationalpark der Everglades. Wer kennt sie nicht, diese weltberühmten Sümpfe, über die Propellerboote brausen und in deren Flachwasser Alligatoren lauern?


Doch schon wieder gibt es ein Haar in der Suppe namens Florida, denn diese so bedrohlich wirkenden, aber oft nur faul in der Sonne liegenden Reptilien rücken immer mehr in den Hintergrund. Die Macht in den Everglades haben inzwischen die Tigerpythons übernommen. Die ersten Schlangen tauchten in den 1970er Jahren in den Sümpfen auf. Eigentlich in Süd- und Südostasien heimisch, wurden sie von verantwortungslosen Züchtern ausgesetzt und vermehrten sich exponentiell und sind nun mit einer geschätzten Anzahl von Hundertfünfzigtausend ein existentielles Problem geworden. Sie werden bis zu sieben Meter lang, mehr als hundert Kilo schwer und machen in ihrer Fresssucht auch vor Waschbären, Füchsen, Marschkaninchen und Vögeln nicht halt. Kürzlich gab es Bilder, wie ein Python dabei war, einen einhundertzwanzig Zentimeter langen Alligator zu verschlingen, ein anderer hatte einen ganzen Weißwedelhirsch im Maul.


Kein Strand, kein Shopping, kein Entertainment- oder Naturausflug? Dann muss eigentlich berechtigterweise die Frage erlaubt sein, warum man überhaupt in Florida gelandet ist und ob man sich ausreichend vorab informiert hat. Aber halt – es gibt doch noch eine weitere Dimension. Wie wäre es mit etwas Kultur? Und ja, wider Erwarten gibt es das sogar in dieser westlichen Region des Sonnenscheinstaates.

 

St. Petersburg, ehedem nach einem adligen Exilrussen benannt, hat zum Beispiel nicht nur einen beeindruckenden Strand und die meisten Sonnentage pro Jahr, sondern auch ein renommiertes Salvador-Dali-Museum, das als das weltgrößte seiner Art gilt. Sarasota, etwas südlich davon, bezeichnet sich gerne als Kunst- und Kulturhauptstadt Floridas. Das ist einerseits vielleicht kein „Kunststück“, trifft aber andererseits wirklich zu. Das Ringling Museum of Art stellt aus, was der millionenschwere Zirkusdirektor zusammen mit seiner Frau Mable in der europäischen Kunstszene erworben hat. Das Gebäude und die Exponate verdienen ohne Vorbehalt das Attribut „sehenswert“. Nimmt man das Florida Studio Theatre, die Van Wezel Performing Arts Hall, die West Coast Black Theatre Troupe, das Asolo Repertory Theatre, das Urbanite Theatre und das Sarasota Opera House hinzu, hat sich die Stadt den Superlativ in der Tat verdient.


Muschelsuchen an der Küste, Sonnenuntergänge an Bilderbuchstränden, Schwimmen mit Seekühen, abendliche Opernaufführungen, kühle Cocktails und frische Shrimps am Hafenkai – das alles macht diesen westlichen Teil Floridas ohne Zweifel aus. All das gibt es und noch viel mehr. Wie immer beim Reisen muss man sich jedoch bereits im Vorfeld den vollmundigen Versprechungen und farbigen Slogans einer glorifizierenden Werbung entziehen und mit den realistischen Erwartungen anreisen. Dann steht dem positiven Erlebnis und dem Genuss von ganz viel Sonne und wohltuender Wärme nichts im Wege.


Wenn man seinen Aufenthalt nicht gerade während der Hurrikan-Saison eingeplant hat, die in der Regel von Anfang Juni bis Ende November dauert…



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